Carbon Capture, Utilization and Storage – Stand und Perspektiven von biomasseassoziierten Verfahren

Themenübersicht

1. Einleitung

2. Begriffsdefinition und Abgrenzung

3. CO2-Quellen für CCU-Maßnahmen

4. Verfahren, Akteure und Projekte

5. Perspektiven und Leitplanken für mögliche Fördermaßnahmen

1. Einleitung

Eine der wichtigsten Ursachen des gegenwärtigen Klimawandels ist die vom Menschen verursachte Freisetzung des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid (CO2). Durch die Vermeidung der Emissionen und durch die Entnahme von Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre wollen Deutschland und Europa bis Mitte des Jahrhunderts Treibhausgasneutralität erreicht haben.

Die Vermeidung kann durch Effizienzmaßnahmen sowie durch die Umstellung auf erneuerbare Energieträger und auf treibhausgasarme Rohstoffe gelingen. Unvermeidbare Emissionen aus Industrie, Landwirtschaft, Transport, Abfällen und Abwässern würden durch die dauerhafte Entnahme von Kohlenstoff aus der Atmosphäre und bei einer langanhaltenden sicheren Bindung oder Einspeicherung des Kohlenstoffs bzw. des Kohlenstoffdioxids ausgeglichen werden (Carbon Dioxide Removal – CDR); der Ausgleich kann mit Hilfe natürlicher Kohlenstoffsenken wie Wälder und Moore geschehen, durch die Verbringung des Kohlenstoffs bzw. Kohlenstoffdioxids in unterirdische Lagerstätten (Carbon Capture and Storage – CCS) oder durch Speicherung in dauerhaften Produkten. Die dafür notwendigen Technologien (Negative Emission Technologies – NET) werden teilweise schon genutzt bzw. sind in der Entwicklung. In vielen Szenarien werden sie als wesentlicher Bestandteil zur Erreichung der Klimaziele aufgeführt.

Ein vollständiger Verzicht auf Kohlenstoff für Energie und Produkte wird nicht möglich sein. Deshalb bietet es sich an,  bereits zirkulierende Kohlenstoffverbindungen als alternative Kohlenstoffquelle zu herkömmlichen fossilen Quellen wie Kohle, Erdöl und Erdgas zu verwenden: erstens kohlenstoffhaltige Produkte verstärkt werkstofflich oder chemisch recyceln, zweitens auf biogene Ressourcen zurückgreifen, in welchen der Kohlenstoff durch natürliche Photosynthese gebunden ist, und drittens den Kohlenstoff aus der Atmosphäre und aus Prozessen abscheiden und wiederverwenden (Carbon Capture and Utilization – CCU).

Im Folgenden sollen der Sachstand und die Perspektiven bei den Technologien und Praktiken der CO2-Entnahme dargestellt werden, wobei der Schwerpunkt bei den biomasseassoziierten Technologien zur Nutzung des abgeschiedenen Kohlenstoffs liegt.

2. Begriffsdefinition und Abgrenzung

2.1 Unterteilung der Maßnahmen

Bezüglich der Methoden für CO2-Entnahmen wird häufig zwischen technologiebasierten und naturbasierten Maßnahmen unterschieden. Bei ersteren geschehen die Abtrennung und die langfristige Speicherung des Kohlenstoffs mittels technologischer Verfahren. Bei den naturbasierten Maßnahmen, die auch als biomassebasiert bezeichnet werden können, übernehmen Boden und Pflanzen die gesamte Senkenleistung. Die Zuordnung ist allerdings nicht immer ganz einfach, einige Optionen passen weder vollständig in die eine noch in die andere Kategorie; werden beide Kategorien berührt, bezeichnet man die Maßnahme auch als hybrid. Fuss 2021 empfiehlt alternativ eine Unterteilung entlang der finalen Destination des CO2: Atmosphäre, Lithosphäre, Biosphäre, Hydrosphäre.

2.2 Carbon Capture and Utilization – CCU

Unter Carbon Capture and Utilization (CCU) werden die Abscheidung und die anschließende Nutzung von Kohlenstoff verstanden. Gängige Begriffsdefinitionen gehen von bereits emittierten Kohlenstoffverbindungen aus, also von Kohlenstoffdioxid oder Kohlenstoffmonoxid, welche nach der primären Emission mindestens einem weiteren Nutzungszyklus zugeführt, bestenfalls mehrfach genutzt werden. CCU-Technologien können somit zur Substitution fossiler Rohstoffe und Energieträger beitragen, indem damit Ressourcen für industrielle und chemische Prozesse erschlossen werden. Natürliche biologische Prozesse und die Produktion von Baustoffen, Kraftstoffen und Chemikalien aus Biomasse können im erweiterten Sinne ebenfalls als CO2-Entnahme und Nutzung des Kohlenstoffs verstanden werden.

Falls das abgeschiedene CO2 am Ende der Nutzungskette erneut in die Atmosphäre gelangen würde, wäre dessen Ausstoß lediglich zeitlich und örtlich verlagert, jenseits der Substitution fossiler Rohstoffe wäre damit keine langfristige Speicherung gegeben. Unter anderem aus diesem Grund werden Anwendungen diskutiert, bei welchen der Kohlenstoff langfristig z.B. in Baustoffen gebunden bleibt und somit negative Emissionen erzielt werden können. Aus Klimaschutzgründen wäre es darüber hinaus wichtig, dass entlang der Wertschöpfungskette keine zusätzlichen Treibhausgasemissionen ausgelöst werden, deshalb sollte nicht nur auf die Verwendung vermeidbaren fossilen Kohlenstoffes verzichtet werden, die verwendeten Hilfsstoffe sollten ebenfalls treibhausgasneutral sein, und der energetische Gesamtaufwand sollte ausschließlich mit Erneuerbaren Energien gedeckt werden.

Die gegenwärtig diskutierten CCU-Anwendungen sind mit einem erheblichen Energieaufwand verbunden. Energie benötigt nicht nur die Abscheidung (CO2 aus Gasgemisch oder Atmosphäre extrahieren) sondern auch Bereitstellung, Transport und Konversion des Kohlenstoffs, dann der Transport des Kohlenstoffprodukts sowie die eventuellen weiteren Aufwendungen beispielsweise für nachhaltig hergestellte Hilfsprodukte wie Wasserstoff. Die Klimaschutzwirkung der Maßnahme wird bestimmt von der Kohlenstoffquelle (CCU verbessert nicht deren Klimawirkung), von der Substitutionswirkung des CCU-Produkts (effiziente Techniken bzw. Techniken mit großem Substitutionspotenzial bevorzugen), von den THG-Emissionen in der Prozesskette (aus dem energetischen Aufwand für die Bereitstellung und Nutzung des Kohlenstoffs). Darüber hinaus sind weitere mögliche Umweltwirkungen sowie zeitliche Aspekte wie die Verfügbarkeit von nachhaltig erzeugtem Wasserstoff zu berücksichtigen.

Die Europäische Kommission hat im Dezember 2021 in einem Grundsatzpapier festgelegt, dass bis 2030 mindestens 20 % des in Chemie- und Kunststoffprodukten verwendeten Kohlenstoffs aus nachhaltigen, nicht-fossilen Quellen stammen sollte. Zwar scheint CCU theoretisch dazu in der Lage zu sein, den gesamten petrochemischen Markt bedienen zu können – die Vielfalt denkbarer Geschäftsmöglich­keiten ist noch nicht in Gänze überschaubar -, doch dürfte insbesondere das Potenzial Erneuerbarer Energien für den Prozess limitierend wirken. UBA 2021 räumt CCU-Anwendungen unter anderem erst dann einen Spielraum ein, wenn der Anteil der Erneuerbaren Energien in der Strombereitstellung 80 % erreicht hat und sämtliche Einsparmöglichkeiten sowie Alternativen, die weniger Energiebedarf haben und mit geringeren Umweltwirkungen verbunden sind (u.U. Recycling, Biokunststoffe), zuvor ausgeschöpft wurden. Denkbar wäre, dass CCU-Anwendungen zur zeitlichen Entkopplung des Angebots Erneuerbarer Energien und der Nachfrage beitragen könnten. Die Sinnhaftigkeit von CCU-Maßnahmen wäre somit stets im Einzelfall und unter Berücksichtigung des Kontextes zu bewerten.

2.3 Carbon Capture and Storage – CCS

Unter Carbon Capture and Storage (CCS) werden innovative Technologien zur Kohlenstoffabschei­dung und dauerhaften unterirdischen Speicherung verstanden. Ursprünglich bezieht sich CCS auf fossilen Kohlenstoff, im industriellen Maßstab wird die CCS-Technologie seit Mitte der 1990er Jahre eingesetzt, in jüngerer Zeit wurden mehrere CO2-Speicher vor allem in Nordamerika in Betrieb genommen. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass durch Vorreiterprojekte europaweit bis 2030 jährlich 5 Mt CO2 der Atmosphäre entzogen werden können; dabei handelt es sich lediglich um Restemissionen, die nach Ausschöpfung aller Einsparungen aus der Atmosphäre zu beseitigen sein werden. Aufwand und Risiken beschränken die Potenziale. Die unterirdische Einlagerung ist mit Umweltrisiken, mit langfristigen Planungs- und Umsetzungszeiträumen und jedenfalls anfangs mit erheblichen Kosten verbunden, laut UBA 2021 ist die Akzeptanz in der Bevölkerung gering. Der Energieaufwand für Abscheidung, Transport und Speicherung ist groß. Von daher ist eine baldige großtechnische Umsetzung in Deutschland sehr unwahrscheinlich. Alternativen kann die Sicherung und Erschließung natürlicher Kohlenstoffsenken bieten (siehe Kap. 2.7 und 2.8).

2.4 Carbon Capture, Utilization and Storage – CCUS

Carbon Capture, Utilization and Storage (CCUS) steht für die Abscheidung, Nutzung und Speicherung von Kohlenstoff. Wie beim CCU wird das Ziel verfolgt, die verbleibenden fossilen Rohstoffe in ihren Lagerstätten zu belassen und den fossilen Kohlenstoff möglichst durch Mehrfachverwendung des CO2 zu substituieren. Das auf diese Weise erzeugte Produkt wirkt bereits kurz- oder längerfristiger als Kohlenstoffspeicher. Am Ende der Nutzungskette wird der Kohlenstoff möglichst dauerhaft der Lithosphäre oder einem langlebigen Produkt zugeführt. Die Entwicklung von CCUS-Maßnahmen hatte ursprünglich den Zweck, die Abscheidung und Speicherung des Kohlenstoffs profitabel zu machen. CCU-Maßnahmen lassen sich eventuell kurzfristiger umsetzen als die Technologie des CCS, sie sind vom Maßstab her kleiner und vielfältiger denkbar als CCS, ihre Verwendung darf jedoch nicht von einer effektiven Reduzierung der Emissionen ablenken.

2.5 Bioenergy with Carbon Capture and Storage – BECCS

Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -speicherung, BECCS oder Bio-CCS abgekürzt, ist eine Bioenergieanlage, die mit einer CCS-Erweiterung ausgestattet ist. Pflanzen nehmen CO2 aus der Atmosphäre auf und bauen den Kohlenstoff durch Photosynthese in die Pflanzenmasse ein. In der Bioenergieanlage wird dieser Vorgang umgekehrt, der in der Pflanze gespeicherte Kohlenstoff wird wieder als CO2 frei. Üblicherweise wird das CO2 an die Umgebungsluft abgegeben, beim BECCS allerdings wird es mit der Technologie des CCS abgeschieden, unter Tage transportiert und dort langfristig gespeichert und somit der Atmosphäre entzogen. Unvermeidbare Emissionen lassen sich damit ausgleichen, negative Emissionen können erzielt werden.

Die Bioenergietechnologie mit Kohlenstoffabtrennungs- und Sequestrierungsansätzen ist außerhalb Deutschlands erprobt, vor allem in der Ethanolerzeugung, ebenso besitzen einzelne Biomassekraftwerke eine CCS-Erweiterung. Weitere Anlagen sind geplant. Zur Minimierung des Aufwands für den CO2-Transport stehen Großanlagen im Vordergrund. Eine Zwischennutzung des abgeschiedenen Kohlenstoffs bzw. dessen Abgabe an die Erzeugung langfristiger Produkte ist unter Umständen möglich (BECCUS).

Abtrennung und Transport des CO2 verursachen höhere Kosten gegenüber herkömmlichen Bioenergieanlagen ohne CCS-Kopplung. Johnsson et al. 2020 rechnet mit Kosten um 100 EUR pro Tonne abgeschiedenem CO2 einschließlich Transport und Speicherung. Der zusätzliche Energieaufwand reduziert die Effizienz der Gesamtanlage, wobei das technische Potenzial hauptsächlich durch das Angebot nachhaltiger Biomasse limitiert ist. Thrän 2019 geht deshalb davon aus, dass bei einem angenommenen gleichbleibenden Biomasseangebot der Endenergiebeitrag der Biomasse vermindert werden würde. Außer den erwähnten Umweltrisiken des CCS und den fehlenden Speichermöglichkeiten, die eine Umsetzung von BECCS-Maßnahmen in Deutschland bis auf weiteres wenig wahrscheinlich erscheinen lassen, sieht u.a. UBA 2021 biomasseinduzierte Gefahren für Ökosysteme, Wasserhaushalt, Boden- und Wasserqualität, des weiteren Klimawirkungen durch Düngemitteleinsatz und Bodenbearbeitung sowie Flächenkonkurrenz und Landnutzungsänderungen. UBA 2021 verweist ergänzend oder alternativ auf natürliche Senken und auf DAC.

2.6 Direct Air Capture – DAC

Direct Air Capture (DAC) steht für das Abscheiden von CO2 direkt aus der Atmosphäre mittels Luftfilter. Mögliche Varianten sind DACCS, DACCU und DACCUS, also das langfristige Speichern des CO2 und eventuell dessen Zwischennutzung. Nach Informationen der IEA sind derzeit weltweit 19 DAC-Anlagen im Betrieb, weitere sind in der Planung. Die niedrige Konzentration des CO2 in der Umgebungsluft macht DAC im Vergleich zu anderen Entnahmetechnologien relativ teuer, die globale Literatur ergibt für den Entzug aus der Atmosphäre eine Spannbreite von um 100 bis um 250 EUR pro Tonne CO2, mitunter auch höher; die Prozesse sind mit einem großen Energieaufwand verbunden, die zur Verfügung stehende Erneuerbare Energie limitiert das technische Potenzial. Für eine Nutzung und den Ausgleich unvermeidbarer CO2-Emissionen bis hin zur Erzielung negativer Emissionen bleibt DAC aber eine Option.

2.7 Carbon Farming

Die Bewirtschaftungsform des Carbon Farming (CF) soll dem Klimawandel entgegenwirken, indem zusätzliches CO2 aus der Atmosphäre im Boden beispielsweise als Wurzelmasse und Humus sowie in Gehölzen gebunden bzw. angereichert wird. Die Speichermöglichkeit wird durch den vermehrten ober- und unterirdischen Aufbau vitaler und abgestorbener Biomasse geschaffen. Solche natürlichen Kohlenstoffsenken können unter anderem durch geänderte Landbewirtschaftung und durch nachhaltige Holzwirtschaft erschlossen werden und sind meist biomassebasiert. Im Gegensatz zu technischen oder hybriden Lösungen kommen diese Senken ohne Transport- und Verbringungsinfrastruktur und mit relativ kleinem Energieaufwand aus; Boden und Pflanze übernehmen die gesamte Senkenleistung einschließlich Abscheidung und Speicherung. Ihre Wirksamkeit ist dementsprechend umfangreicher als beispielsweise die des DAC.

2.8 Pflanzenkohle

Eine Maßnahme der CO2-Entnahme, die sowohl technologie- als auch naturbasiert sein kann, ist beispielsweise die Erzeugung und Verwendung so genannter Pflanzenkohle. Durch das technische Verfahren der Pyrolyse wird aus organischem Material unter Sauerstoffabschluss Pflanzenkohle erzeugt. In der Kohle ist der pflanzliche Kohlenstoff langfristig gebunden, verwendet wird sie etwa im landwirtschaftlichen Materialkreislauf (z.B. Futtermittelzusatz, Einstreu), in der Bodenkohlenstoffanreicherung und als Zuschlag in Baustoffen. Damit können verschiedene positive Nebeneffekte verbunden sein, beispielsweise die Verminderung von Lachgas- und Methanemissionen aus dem Boden, die Verbesserung seiner Wasserhaltekapazität und die Reduzierung von Nitratauswaschungen. Im Bausektor kann die Pflanzenkohle klimaschädliche Stoffe substituieren.

3. CO2-Quellen für CCU-Maßnahmen

Die Rohstoffversorgung der chemischen Industrie in Deutschland basiert im Wesentlichen auf fossilen Kohlenstoffquellen wie Erdöl, Erdgas und Kohle, welche zu organischen Grundchemikalien und Folgeprodukten verarbeitet werden. Zwar sind kohlenstofffreie Alternativen in Aussicht, etwa grüner Wasserstoff als Reduktionsmittel in der Eisen- und Stahlindustrie, doch wird der verbleibende Kohlenstoffbedarf durch alternative Kohlenstoffbereitstellungspfade gedeckt werden müssen. UBA 2021 rechnet damit, dass auch bei starker Vermeidung weiterhin ein Bedarf von 20 bis 40 Mio. Tonnen Gesamtkohlenstoffbedarf pro Jahr in Deutschland zu decken sein wird. Mögliche Rohstoffquellen könnten werkstoffliches und chemisches Recycling kohlenstoffhaltiger Produkte sein, ein Teil des Bedarfs dürfte außerdem durch Biomasse gedeckt werden können. Trotz ihres im Vergleich dazu großen Energiebedarfs könnten CCU-Maßnahmen als Kohlenstoffquelle Bedeutung erlangen und im Sinne einer Kreislaufwirtschaft als Kohlenstoffrecycling gedacht werden.

Als CO2-Quellen für CCU-Maßnahmen kommen die Atmosphäre und Emissionen der Energiebereitstellung und Produktion in Frage. Über die Atmosphäre werden auch die unvermeid­baren Emissionen aus Landwirtschaft und Transport erfasst, die als Restemissionen nach dem Umsetzen von Effizienzmaßnahmen und nach der Umstellung auf Erneuerbare Energien und Rohstoffe übrigbleiben könnten, allerdings ist die Abscheidung aus der Atmosphäre mit einem relativ großen Energieaufwand verbunden. Nutzbare industrielle Restemissionen dürften in Zukunft beispielsweise in (Heiz-)Kraftwerken, bei der Herstellung von Baustoffen, bei der Gas- und Kraftstofferzeugung und in Bioenergieanlagen entstehen:

  • Verbrennung von Rohstoffen, Kraftstoffen oder Produkten;
  • Prozessemissionen, z.B. Kalzinierung bei der Zementherstellung, Fermentation.

Nova 2019 erwartet, dass CCU zunächst dort zum Einsatz kommen wird, wo dem Freiwerden großer CO2-Mengen anderweitig nicht begegnet werden kann. Um einen großen Energie- und Kostenaufwand für die Abscheidung zu vermeiden, empfiehlt Kircher 2020 die Verwendung von Quellen, welche hohe CO2-Konzentrationen aufweisen, ebenso kann die Nähe potenzieller Abnehmer von Vorteil sein. UBA 2021 geht davon aus, dass die Energiewirtschaft vollständig auf Erneuerbare Energien umgestellt werden kann und daher keinen Ausgangspunkt für CCU-Maßnahmen darstellen wird. Hinsichtlich der rohmaterialbedingten fossilen CO2-Emissionen der Zementherstellung, die derzeit zu etwa 2,5 % zu den in Deutschland verursachten CO2-Gesamtemissionen beitragen, empfiehlt es die Reduzierung des Zementbedarfs und die Verwendung der Restemissionen als Beitrag zur Rohstoffsicherung. Generell schlägt UBA 2021 vor, rohstoff- und prozessbedingte Treibhausgasemissionen nach Möglichkeit immer erst zu vermeiden, etwa durch Substitution der Produkte und durch grundlegende Verfahrensumstellung. Für die nahe Zukunft ist jedenfalls mit einer geringeren Verfügbarkeit von CO2-Punktquellen infolge ambitionierter Emissionsminderzungsziele zu rechnen.

4. Verfahren, Akteure und Projekte

4.1 CCU – Carbon Capture and Utilization

Der Begriff CCU beschreibt eine Vielzahl von unterschiedlichen Verfahren und Ansätzen zur Abscheidung und Nutzung von CO2 als Rohstoff. Während die CO2-Abscheidung die technologische Gemeinsamkeit zwischen CCU und CCS darstellt, unterscheiden sich die beiden Konzepte deutlich in dem zweiten Element, also bei dem, was nach der Abscheidung mit dem CO2 geschieht. Beim CCU unterscheidet man zwischen direkter Nutzung und indirekter Nutzung. Während die direkte Nutzung beispielsweise die Verwendung des CO2 in Getränken sowie als Kühl- oder Lösungsmittel umfasst, beinhaltet die indirekte bzw. rohstoffliche Nutzung die Synthese von Grundchemikalien der chemischen Industrie und Energieträgern. Bei CCU-Verfahren müssen die Umweltauswirkungen von Abscheidung, Wiederverwertung und ggf. Transport mit den möglichen Umweltvorteilen abgewogen werden, die sich durch Effizienzsteigerungen, Substitutionseffekte oder durch die langfristige bzw. permanente Bindung des CO2 in den CCU-basierten Produkten ergeben können. Aus wirtschaftlicher Sicht kann sich CCU teilweise schon unter aktuellen Bedingungen lohnen, auch ohne klimapolitische Anreize. Zahlreiche CCU-Technologien, insbesondere PtX-Verfahren, konkurrieren derzeit jedoch mit fossilen Rohstoffen und würden von stärkeren Klimaschutzanreizen profitieren. Die Weiterentwicklung von CCU wird also auch in hohem Maße von klima- und energiepolitischen Maßnahmen bestimmt. Unter den aktuellen Bedingungen ist davon auszugehen, dass CCU-Produkte in der Regel teurer sind als konventionelle Vergleichsprodukte. Je nach Lebensdauer des jeweiligen CCU-Produkts kann das CO2 einige Tage oder Wochen (synthetische Kraftstoffe) bis hin zu Jahren (z. B. Polymere) oder Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte gespeichert werden (z. B. in Baustoffen).

Im Folgenden werden die wichtigsten CCU-Verfahren und die damit verbundenen CO2-Nutzungspfade beschrieben.

4.1.1 CO2-Abscheidungsverfahren

CCU wie auch CCS beginnen immer mit dem Prozess der Abscheidung von CO2 und beruhen somit im ersten Schritt auf Technologien, die CO2 aus Abgasen z.B. der Industrie (Punktquellen) oder der Umgebungsluft (DAC) herausfiltern können. Die Nutzung erfordert meist die Bereitstellung von CO2 in konzentrierter und reiner Form. Zur Abscheidung werden u.a. flüssige Lösungsmittel oder feste Sorptionsmittel genutzt, um CO2 in der Lösung oder an Oberflächen zu binden. Der Erneuerungsprozess des eingesetzten Filters benötigt in der Regel hohe Temperaturen (80°C bis 800°C), was wiederum einen hohen Energiebedarf mit sich bringt. Dabei unterscheidet man u.a. folgende Ansätze:

  • Post-Combustion: Abscheidung des CO2 durch eine chemische Wäsche, die einem weitgehend unveränderten herkömmlichen Verbrennungsprozess nachgeschaltet wird.
  • Pre-Combustion: Abscheidung des CO2 mit physikalischen Wäschen oder mittels Membrantechnologie aus einem Brenngas vor der hauptsächlichen Energieumwandlung.
  • Oxy-Combustion/Oxyfuel: Verbrennung von kohlenstoffhaltigen Energieträgern mit reinem Sauerstoff, wodurch sich ein Rauchgas ergibt, aus dem lagerfähiges CO2 durch einfache Trocknung gewonnen wird.
  • Calcium-Looping: Dafür wird Rauchgas in einen sogenannten Karbonator geleitet, in dem das CO2 z.B. mit Calciumoxid zu Calciumkarbonat (CaCO3) reagiert und so gebunden wird. Die Einbindung von CO2 in Karbonaten ist einer der am längsten etablierten Ansätze für die Konversion von CO2 und kommt in geologischen Zeiträumen auch natürlich in Gesteinen vor.
  • Direct Air Capture – DAC (siehe Kap. 2.6)

4.1.2 CO2-Nutzungspfade

Bei der Nutzung von CO2 unterscheidet man zwischen direkter Nutzung und indirekter Nutzung mit vorgeschalteten Konversionsverfahren. Bereits heute werden weltweit große Mengen CO2 bei der Herstellung von Harnstoff für Düngemittel und zur verbesserten Ölgewinnung (EOR – Enhanced Oil Recovery) direkt eingesetzt. Weitere kommerzielle direkte Verwendungszwecke von CO2 sind die Lebensmittel- und Getränkeherstellung, Kühlung, Wasseraufbereitung und Gewächshäuser. Zu den neuen Wegen der CO2-Nutzung mit vorheriger Konversion gehören insbesondere die Produktion von synthetischen Kraftstoffen, Chemikalien und Baumaterialien. Bei den Konversionsverfahren unterscheidet man zwischen chemischen und biotechnologischen Prozessen. Während die biotechnologischen Umwandlungsprozesse auf mikrobieller oder algenvermittelter Fermentation beruhen, basiert die chemische Konversion meist auf konventionellen katalytisch-chemischen Prozessen. Für viele CCU-Verfahren wird Wasserstoff aus Elektrolyse eingesetzt. Auch auf Grund der dafür benötigten elektrischen Energie, gibt es große Überschneidungen mit den Power-to-X-Technologien. Zu den wichtigsten Nutzungspfaden gehören:

Methanisierung: Unter Methanisierung versteht man die Umwandlung von CO2 oder CO zu Methan. Man unterscheidet dabei zwischen chemisch-katalytischer Umwandlung (Sabatier-Reaktion) und biologischer Methanisierung mit Hilfe methanogener Mikroorganismen.

Synthesegaserzeugung und chemische Folgeprodukte (Fischer-Tropsch/Methanol): Die Umsetzung von CO2 zu Synthesegas kann über die Umkehrung der Wassergas-Shift-Reaktion (CO+ H2 ↔ CO + H2O) oder über die trockene Reformierung mit Methan (CO2 + CH4 → 2CO + 2H2) erfolgen. Über die Fischer-Tropsch-Synthese oder über die Basischemikalie Methanol können unterschiedliche Kraftstoffe, Naphtha und Wachse synthetisiert werden. Fischer-Tropsch-Synthesen sind technologisch weit fortgeschritten und bereits kommerziell im Einsatz (z.B. Sunfire GmbH). Nova 2019 sieht Preisparität mit fossilen Kraftstoffen etwa ab Stromkosten von 1,5 – 2 Cent/kWh und gegenüber Biokraftstoffen etwa ab 3-4 Cent/kWh gegeben.

Karbonatisierung mineralischer Rohstoffe (z.B. Basalt, Schlacken aus der Stahlproduktion): Die Karbonatisierung mineralischer Rohstoffe wird vielfach auch als Option zur CO2-Speicherung betrachtet. Jedoch gibt es eine weltweit steigende Anzahl von Forschungsaktivitäten, die auf die Erzeugung von Wertstoffen aus karbonatisierten Mineralien abzielt.

Biotechnologische CO2-Entnahme- und Nutzungsverfahren: Neben den zuvor genannten Verfahren gibt es eine Vielzahl von biotechnologischen und hybriden Ansätzen sowohl zur Abscheidung als auch zur Konversion von CO2. Diese arbeiten unter direktem Einsatz von Sonnenenergie, mit elektrischer Energie oder mit Wasserstoff. Ein Großteil der Ansätze befindet sich noch in der Phase von Forschung und Entwicklung; sie können neben den klassischen PtX-Verfahren das Produktspektrum in Richtung höherwertiger organischer Moleküle erweitern. Ausgewählte Verfahrensansätze bzw. Teilprozesse für biotechnologische oder hybride CO2-Nutzungsverfahren :

  • Modifizierte Photosynthese (Algen/Cyanobakterien)
  • Elektrobiosynthese
  • Gasfermentation
  • Carboanhydrase-katalysierte Konversion
  • Mikrobiell induzierte Calciumcarbonatfällung
  • Biophotovoltaik
  • Biologische Wasserstoffgewinnung

4.2 Biomassebasierte Kohlenstoffsenken

Eine CO2-Entnahme und Kohlenstoffnutzung findet auch beim Carbon Farming, in der Forst- und Holzwirtschaft sowie bei der Erzeugung und Verwendung von Pflanzenkohle statt. Deren Möglichkeiten und Grenzen sowie einige Akteure und Projekte sollen an dieser Stelle ergänzend zu den oben dargestellten CCU(S)-Maßnahmen erläutert werden.

4.2.1 Carbon Farming

Beim Carbon Farming (CF) mit Fokus Landwirtschaft kann CO2 aus der Atmosphäre aufgenommen und in der gebildeten Biomasse gespeichert werden. Wird dabei Humus aufgebaut, kann der Kohlenstoff (C) „gelagert“ werden, was im weiteren Sinne den DACCS-Maßnahmen entspricht. Ebenso ist C langfristig gebunden, wenn Dauerkulturen wie Durchwachsene Silphie oder Gehölze angebaut werden; die Bindung erfolgt dann insbesondere über die Wurzelmasse. Ein Teil des Kohlenstoffs wird dem Kreislauf wieder zugeführt, sobald die Biomasse genutzt wird. Dies kann vermindert werden, wenn man bei der energetischen Verwertung z.B. in Biogasanlagen den freiwerdenden Kohlenstoff auffängt und stofflich nutzt. Der Kohlenstoff ist dann im Produkt gespeichert oder kann anderweitig verwendet werden. Um den Kohlenstoffgehalt der Atmosphäre zu senken, muss eine CF-Maßnahme bilanziell Kohlenstoff anreichern. Somit kann CF sowohl einer DACCS- als auch einer CCU-Maßnahme entsprechen. Der Vorteil von CF ist, dass die C-Senken vielfältig sind und schnell in der Praxis umgesetzt werden können. Damit kann ein großer Markt erschlossen werden. Allerdings muss beachtet werden, dass das Potential als C-Senke variabel und abhängig von Rahmenbedingungen wie Klima, Bodeneigenschaften, Standort und Management ist. Auch ist der Humusaufbau nur bis zu einer Gleichgewichtseinstellung von Auf- und Abbau möglich, laut wissenschaftlichen Aussagen z.B. aus dem Interreg-Nordseeprogramm „Carbon Farming“ können jährlich 50 bis 1000 kg/ha Corg angereichert werden. Aus dieser großen Spanne ist ersichtlich, dass vor allem die Rahmenbedingungen eine Rolle spielen. Wichtig bei CF ist die Langfristigkeit der Maßnahme, da die Gefahr besteht, dass die C-Senkenfunktion reversibel ist, dass also der Kohlenstoff wieder freigesetzt wird, wenn die Maßnahme nicht mehr angewendet wird.

Abbildung 1:   Mögliche Bereiche mit Minima und Maxima für Corg Anreicherungen bei verschiedenen Maßnahmen (Datenquelle: Interreg Carbon Farming Project)

Die EU-Kommission geht davon aus, dass europaweit eine Senke in Höhe von insgesamt 310 Mt CO2-Äq. nötig ist, um bis 2030 Treibhausgasneutralität im Landnutzungssektor zu erreichen. Sie definiert hierfür unter anderem die folgenden Maßnahmen:

  • Aufforstung und Wiederaufforstung;
  • Agrarforste und Formen gemischter Landwirtschaft;
  • Einsatz von Zwischenfrüchten und konservierender Bodenbearbeitung sowie Bodenschonung und Steigerung des organischen Kohlenstoffs im Boden;
  • gezielte Umwandlung von Ackerland in Brachland oder von stillgelegten Flächen in Dauergrünland;
  • Wiederherstellung von Mooren und Feuchtgebieten.

Weitere Maßnahmen können sein: vielfältige und weite Fruchtfolgen, Grünlandmanagement, Ausbringung von Kompost und Festmist, Waldpflege sowie Anbau von Paludikulturen in wiedervernässten Moorgebieten.

Die genannten Maßnahmen umfassen jedoch nur einen Teil der Möglichkeiten des Landnutzungssektors zur Minderung der Treibhausgasemissionen. Außer die Freisetzung von CO2 zu senken und dessen Abscheidung zu unterstützen werden auch Umweltleistungen wie die Bodenverbesserung und die Steigerung der Biodiversität gefördert. UBA 2021 geht davon aus, dass die unvermeidbaren Treibhausgasemissionen der industriellen Prozesse, der Landwirtschaft sowie aus dem Bereich Abfall und Abwasser durch die natürlichen Senken und durch nachhaltige Holzwirtschaft vollständig kompensiert werden können (bilanziell Netto-Null-Emissionen bis spätestens 2050) und dass kein CCS für die Erreichung der Treibhausgasneutralität erforderlich ist. Eine Herausforderung bei CF ist es, die Dauerhaftigkeit der Maßnahmen sicherzustellen also  den Kohlenstoff langfristig zu fixieren. Somit ist ein zentraler Baustein von CF-Maßnahmen ein begleitendes Monitoring in zeitlichen Abständen (Stichwort: Humus-Zertifikate). Dies gilt v.a. bei Änderungen in der Bewirtschaftungsform. Letztlich bietet CF eine breite Palette an Klimaschutzmaßnahmen, diese bedürfen der Forschung, Anleitung, Finanzierung, Überwachung, Berichterstattung und Verifizierung, um die dauerhafte C-Senkenfunktion zu gewährleisten.

4.2.2 Forst- bzw. Holzwirtschaft

Die Fixierung des Kohlenstoffs aus atmosphärischem Kohlenstoffdioxid mittels Photosynthese in Bäumen ist kein Carbon Capture im eigentlichen Sinne dieses Papiers. Hier liegt vielmehr ein natürlicher Weg der Kohlenstoffspeicherung vor, dessen Energiebedarf zu 100 Prozent von der Sonne gedeckt wird. In 3,67 Tonnen Kohlenstoffdioxid sind eine Tonne Kohlenstoff gebunden. Im Baum sind ca. 50 Gewichtsprozent Kohlenstoff.

Photosynthese ist gleichsam die natürliche Form des Carbon Capture. Sonnenenergie wandelt CO2 aus der Atmosphäre in gebundenen Kohlenstoff um. Der einzelne Baum speichert ober- und unterirdisch in lebender Substanz Kohlenstoff (Holz, Blätter, Nadeln, Wurzeln). Bei der Betrachtung des ganzen Waldes wird auch die nicht-lebende Biomasse (Totholz, abgestorbene Wurzeln, Streuauflage) und der bereits in Dauerhumus umgewandelte Kohlenstoff dazugezählt.

Mit dem Absterben bzw. der Ernte des Baumes wird der Kohlenstoff aus dem Speicher „Lebende Biomasse“ in andere Kohlenstoffspeicher im System Wald (Totholz, abgestorbene Wurzeln, Streuauflage) überführt. Auch die Verarbeitung des Holzes in unterschiedlich lang nutzbare Holzprodukte ist eine Verlagerung des Kohlenstoffes in den so genannten Produktespeicher. Aus all diesen Speichersystemen kommt ein Teil des Kohlenstoffes über Veratmungs- oder Verbrennungs-Prozesse als Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre zurück. Der Zeitraum dafür schwankt zwischen Monaten (Blattzersetzung) und Jahrhunderten (z.B. Produktespeicher Holzbauten).

Die Ernte von Stammholz und dessen anschließende Nutzung als Holzprodukt schafft im Gesamtsystem Wald Platz für Zuwachs im lebenden Waldspeicher. Das Anfüllen des Holzproduktespeichers ist daher klimawirksam. Denn auch wenn die gesamte Kohlenstoffspeicherleistung eines Waldes extrem hoch ist, so hat dieser gleichbleibend hohe Gesamtspeicher durch permanente Aufbau- und Zerfallsprozesse keine Wirkung auf das Klima. Erst die absolute Erhöhung der Speicherkapazität zeigt diesen Effekt. Die Speicherausweitung kann durch mehr Kohlenstoff im Boden (Aufbau Dauerhumus), mehr Totholz und eine höhere Streuauflage oder durch mehr dauerhafte Holzprodukte in Nutzung erfolgen. Da alle natürlichen Systeme einem dynamischen Gleichgewicht zustreben, ist der Holzproduktespeicher ein durch Nutzung steuerbarer Speicher. Die Maximierung der dauerhaften Nutzung, also die Steigerung der Speicherleistung in Holzprodukten, ist eine effektive und effiziente Maßnahme und dazu schnell umsetzbar.

Auch ein zeitlich befristeter Produktespeicher kreiert durch die Substitutionswirkung der Holznutzung und die zeitliche Streckung bis zur Re-Emission in die Atmosphäre sofort einen Klimagewinn.

Abbildung 2:   Kohlenstoffspeicher in Forst- und Holzwirtschaft (Datenquelle: LWF)

Im System Baum-Wald-Produktespeicher gibt es eine Vielzahl von Akteuren. Angefangen von den Waldbesitzern, die durch ihre Art der Waldbewirtschaftung den toten und lebenden Kohlenstoff-Waldspeicher bewusst oder unbewusst steuern, bis hin zu den Verarbeitern des Holzes. Derzeit herausragend in der Bioökonomie sind die Aktivitäten der Firma UPM in Leuna. Laut einer Pressemeldung der Firma sollen in dem Werk  chemische Grundstoffe (Bio-Monoethylenglykol bMEG), funktionelle Füllstoffe, Bio-Monopropylenglykol sowie Industriezucker vor allem aus Buche produziert werden. Die jährliche Gesamtkapazität der Bioraffinerie wird bei 220.000 Tonnen liegen. Der Produktionsstart ist für Ende 2022 geplant. Der Holzbedarf beträgt 500.000 fm/Jahr. Die Firma investiert dort ca. 550 Millionen Euro.

4.2.3 Pflanzenkohle

Neben der im Sektor Land- und Forstwirtschaft angestrebten Schaffung von Kohlenstoffsenken in Form von Aufforstung bzw. Wiederaufforstung und dem Aufbau bodenorganischer Substanz (Stichwort: Humusstrategie), kann die Herstellung und Anwendung von Pflanzenkohlen eine kurz- und mittelfristig einsetzbare Technologie zum Aufbau von stabilen Kohlenstoffsenken darstellen.

Pflanzenkohlen, die in Pyrolyseanlagen bei einem Temperaturspektrum von mehreren Hundert Grad bis über 800°C unter Luftabschluss in einem thermo-chemischen Prozess nach dem neuesten Stand der Technik hergestellt werden, enthalten hohe Kohlenstoffanteile bis über 80 % und bleiben sicher unter den im European Biochar Certifikate (EBC) geforderten Schadstoffgrenzwerten, insbesondere was den Gehalt an organischen Schadstoffen wie PAK etc. betrifft. Bei diesem exothermen Prozess entsteht immer auch Synthesegas, das energetisch – in aller Regel thermisch – genutzt werden kann.

Zahlreiche Forschungsarbeiten deuten an, dass der Einsatz von Pflanzenkohle je nach Klimazone, Bodenart, landwirtschaftlicher Kultur und Anwendungsform zur Verminderung von Humusschwund und Nitratauswaschung einerseits, zur Steigerung der Wasserspeicherfähigkeit und damit Trockenresistenz andererseits beitragen kann. Pflanzenkohle funktioniert als Bodenverbesserer und dient der Ertragsstabilisierung, was einen signifikanten ökologischen und ökonomischen Mehrwert bieten kann. Neben diesem positiven Beitrag zur Ernährungssicherung (Stichwort: nachhaltige, klimaresiliente Landwirtschaft) unterstützt der Einsatz von Pflanzenkohlen nennenswert den Klimaschutz durch den raschen Aufbau von Kohlenstoffsenken.

Bei der Pyrolyse von Biomasse wird etwa die Hälfte der über die Photosynthese zuvor aufgebauten Kohlenstoffverbindungen in Pflanzenkohle umgewandelt. Dieses Material ist sehr dauerhaft, und eine chemisch-biologische Zersetzung findet kaum statt. Nur wenn die Pflanzenkohle nicht verbrannt wird (z.B. als Reduktionsmittel in der Industrie oder als Grillkohle) kann von einer Kohlenstoffsenke gesprochen werden. Im Rahmen des EBC wurde Mitte 2020 ein so genanntes Kohlenstoffsenken-Zertifikat entwickelt, welches die komplette Kette von der Biomassegewinnung über die Pyrolyse, die Weiterverarbeitung und die Anwendung analysiert und bewertet. Nur wenn der Gesamtprozess in der Bilanz klimapositiv ausfällt, darf von einer Kohlenstoffsenke gesprochen werde. Als Rohstoffe geeignet sind z.B. landwirtschaftliche Reststoffe, Waldrest- und Landschaftspflegeholz oder Produktionsrückstände aus der Nahrungsmittelproduktion wie Schalen und Kerne, also Materialien, die nicht anderweitig einer höherwertigen stofflichen Nutzung zugeführt werden können.

Neben dem Einsatz von Pflanzenkohlen auf landwirtschaftlichen Nutzflächen sind auch industrielle Anwendungen in der Umwelttechnik als Aktivkohle-Filtermaterial oder im Bausektor möglich. Eine kaskadierte Mehrfachnutzung z.B. in der Tierernährung und anschließender pflanzenbaulicher Nutzung ist sinnvoll. Eine Tonne Pflanzenkohle bindet unter Berücksichtigung aller Verluste rund zwei Tonnen CO2. Es bleibt festzuhalten: Der Einsatz von in Pyrolyseanlagen aus verfügbaren Reststoffbiomassen hergestellten, zertifizierten Pflanzenkohlen insbesondere in der Landwirtschaft kann einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz durch den Aufbau von Kohlenstoffsenken leisten. Die Technologie ist verfügbar, ebenso definierte (nachwachsende) Rohstoffbiomassen.

4.3 CCS – Carbon Capture and Storage

Ziel der unterirdischen Speicherung von Kohlenstoffdioxid ist die Verringerung von CO2 in der ⁠Atmosphäre⁠. Weltweit befassen sich mehrere Akteure mit dieser Technologie, es sind zurzeit etwa 19 Anlagen in Betrieb. Die biomassebasierte Variante, das BECCS, wird unter anderem in Europa (UK, Schweden, Norwegen), den USA, Japan und China erprobt.

5. Perspektiven und Leitplanken für mögliche Fördermaßnahmen

5.1 CCU(S)

Trotz der intensiven Erforschung und Entwicklung von CCU(S)-Maßnahmen ist bisher nur ein geringer Teil der Verfahren kommerziell verfügbar. Einige Verfahren und Anwendungsbereiche versprechen ein größeres Marktpotenzial als andere, etwa wenn viele Marktteilnehmer bedient werden können oder auf bestehende Infrastrukturen zurückgegriffen werden kann. In Bereichen mit unvermeidlichen Restemissionen, z.B. in der Zementindustrie und in der Erzeugung synthetischer Kraftstoffe, kann CCU eine wichtige Option zur Erreichung der Klimaneutralität darstellen, in anderen Bereichen wie der Stahlherstellung könnte es eine Brückentechnologie bis zum Ausrollen von z.B. Direktreduktionsverfah­ren mit Wasserstoff sein.

Die langfristigen Perspektiven für CCU-Technologien sind in hohem Maße von deren technologischen Weiterentwicklung, dem ausreichend hohen Anteil Erneuerbarer Energien und der weiteren Minderungsmaßnahmen von fossilen CO2-Emissionen abhängig. Wie viele fossile Rohstoffe zukünftig insgesamt mit CCU-Technologien substituiert werden können, lässt sich daher aus heutiger Perspektive kaum beziffern. In Folge ambitionierter Emissionsminderungsszenarien ist jedenfalls für die Zukunft mit einer geringeren Verfügbarkeit von CO2-Punktquellen zur Abscheidung zu rechnen, dies sollte bei der Entwicklung eines eventuellen Förderrahmens berücksichtigt werden.

Auf Grund der Heterogenität der einzelnen Prozesse und Produkte können derzeit nur grobe Leitplanken für eine eventuelle Unterstützung genannt werden. So sollte der ökologische Nutzen, insbesondere das THG-Minderungspotenzial, in Lebenszyklusanalysen zwingend nachgewiesen sein. Fördermittel sollten insbesondere für die Forschung zur Identifizierung und Entwicklung der vielversprechendsten Technologien gewährt werden. Eine Einzelfallbetrachtung der Maßnahmen ist jedenfalls erforderlich.

Folgende Kriterien für CO2-Entnahmemaßnahmen sollten im Rahmen von Forschung, Entwicklung und Demonstrationsförderung besondere Berücksichtigung finden:

  • CO2-Entnahmen aus klimaneutralen Quellen (nachhaltige Biomassenutzung, BECCS, nachhaltiges PtG, Atmosphäre);
  • CO2-Entnahmen aus unvermeidlichen prozessbedingten Industrieemissionen (z.B. Kalk- und Zementindustrie sowie aus der Abfallbehandlung);
  • CO2-Entnahmen, die nachweislich zu einer ökologischen Verbesserung und insbesondere einer CO2-Einsparung im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren und Produkten führen können, insbesondere Produkte mit sehr langer CO2-Bindungszeit (z.B. Baumaterialien);
  • CCU-Technologien zur Umstellung des Luftverkehrs, des Seeschiffsverkehrs und des LKW-Fernverkehrs auf erneuerbar erzeugte Kraftstoffe;
  • CCU-Technologien zur langfristigen Substitution fossiler Rohstoffe in der chemischen Industrie.

5.2 Carbon Farming

Der große Vorteil von Carbon Farming ist, dass die Maßnahmen verfügbar und schnell sowie recht einfach umsetzbar sind. Die Möglichkeiten zum Ausbau der Kohlenstoffspeicher in der Landwirtschaft sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Zukünftig wird ein Kaskadenmodell mit ganzheitlichem Ansatz, also der Anbau von Biomasse zur ggf. mehrfachen stofflichen und anschließend energetischen Nutzung, eine entscheidende Rolle spielen, auch um die Effizienz zu steigern. Es gilt, Synergieeffekte auszunutzen, um eine maximale Kohlenstoffsenkenwirkung zu erzielen.

Förderprogramme im Bereich Carbon Farming sollten auf die Langfristigkeit, bestenfalls Dauerhaftigkeit der Kohlenstoffbindung abzielen. Darauf müssen die Kriterien bei einer eventuellen Förderung ausgerichtet sein. Auch integrierte Konzepte, die unterschiedliche Sektoren miteinander verbinden, sollten bei Förderungen Berücksichtigung finden.

Die Maßnahmen könnten regional, nach der jeweiligen Kohlenstoffsenkenwirkung gestaffelt, flächenbezogen gefördert werden, ähnlich der kommenden GAP-Beihilfen (siehe Kap. 5.3) oder den regionalen Förderprogrammen wie dem KULAP.

5.3 Bestehende Förderprogramme

FörderprogrammKontakt
EU-Innovationsfondshttps://www.foerderdatenbank.de/FDB/Content/DE/Foerderprogramm/EU/eu-innovationsfonds.html
Dekarbonisierung in der Industriehttps://www.klimaschutz-industrie.de/foerderung/
Energieforschungsprogramm – Angewandte nichtnukleare Forschungsförderunghttps://www.foerderdatenbank.de/FDB/Content/DE/Foerderprogramm/Bund/BMWi/nichtnukleare-forschungsfoerderung-energiewende.html
CO2-Abscheidung und -nutzung in der Grundstoffindustriehttps://www.energieforschung.de/antragsteller/foerderangebote/co2-abscheidung-und-nutzung
Förderprogramme des bayerischen Staats-ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF)https://www.stmelf.bayern.de/forderwegweiser
GAPhttps://ec.europa.eu/info/food-farming-fisheries/key-policies/common-agricultural-policy/cap-glance_de#thecapinpractice
MoorFutureshttps://www.moorfutures.de/
Humus-Zertifikatediverse Anbieter

Referenzen:

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  • DECHEMA (2017). Stoffliche Nutzung von CO2 zur Verbreiterung der Rohstoffbasis. Abschlussergebnisse.
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  • ENVI Komitee (2021). Carbon Farming. Making agriculture fit for 2030.
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  • Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI (2021). Übersicht über Technologien zur bioinspirierten CO2-Fixierung und -Nutzung sowie der Akteure in Baden-Württemberg.
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